Rock im Wald 2025

Neuensee 24.-26.07.2025


So, da samma wieder – juhe! Und wie schon 2023 (2024 mussten wir ja leider und schweren Herzens ausfallen lassen) kommen wir überdacht von grauen Wolken, aber bei angenehmen Temperaturen im verträumt gelegenen Neuensee an. Zum 30. Mal jährt sich Rock im Wald, und damit auch der Jahrestag des Geburtstagskinds, was der Ursprung für diese Feier hier ist. Alles herzlichst Gute auch von uns (nachträglich)
Und schon beim Ankommen merkt man: Es wirkt alles noch wie ein kleines privates Fest der Dorfjugend. Alle sind supernett, freundlich, hilfsbereit und freuen sich selbst auf ein Wochenende voller Heavy, Stoner, Punk Rock.


Zum Jubiläum hat man sich natürlich auch ein paar Schmankerl überlegt – wobei wir das erste schon verpasst haben, nämlich dass es dieses Jahr schon einen Tag früher losging. Wir konnten es aber nicht einrichten und treffen so auf eine schon zünftig aufgewärmte Menge, die aber superpünktlich um 13:45 Uhr vor der Bühne steht, um ØL ins Feuer zu kippen. Zum Glück nur im übertragenen Sinn – denn ØL sollen erstmal ordentlich abrocken. Das Feuer flammt dabei in den Herzen, die sie im Sturm erobern.
Und wen schert es da schon, dass leider schwerkraftbedingt überschüssiges H₂O vom Himmel fällt? Ordentlich grooviger Stoner-Rock mit einer groben Schweden-Note treibt von der Bühne über den Sportplatz. Bluesig und direkt. Keine unnötigen Floskeln oder Ego-Instrumental-Gewichse.
Erinnert mich ein wenig an meine persönlichen Faves „Boogeyman“ – nicht ganz so dirty und skandinavisch, aber für eine Kapelle aus dem Odenwald eine ordentliche Ansage in Richtung „Let’s Rock“. Saugeiler Einstieg!
Und da mich dieses Jahr wirklich mindestens noch zwei Bands erwarten, auf die ich mich übermäßig freue – ihr werdet es merken –, gönne ich mir nun erstmal unser Einstiegsbier. Mit der Befürchtung, dass ich die nächsten zwei Tage meine Abstinenz wohl doch gegen den Rockstar in mir eintauschen werde.
Schaut ma moi – Prost!
(Hehehe, btw: Wenn Franken Englisch reden, des gelingt scho a weng, a bissal siass.)

15:00 – KANT
schaffen’s erst um 15:35 auf die Bühne – aus dem bier- und schnapsgetränkten skandinavischen Dessert-Sound wechselt die Stimmung hin zu den LSD-getränkten Westküstenklängen der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrtausends. Heavy laid-back Rock, melodisch wie treibend, lieblich-sphärisch, aber immer mit einem dauerpräsenten dämonischen Unterton, der, durch englische Landschaften bricht. Dieses Wechselspiel im Einklang zelebrieren die jungen Herren routiniert und souverän wie alte Hasen. Getragen von der kopflastigen, recht rockigen Klarstimme des Sängers kommen viele positive Vibes auf. Da zeigt sich dann auch die Sonne und trocknet für ein paar Minuten die feuchten Klamotten.
Verspielte und manchmal fast schon theatralische Zwischenparts gleiten über in trommellastiges Gegroove oder stonerartige Klanglandschaften – mal filigran und fein, dann wieder massiv und gewaltig. Für die Psyche-Rocker und Stoner-Freunde ein wahres Fest, für alle anderen ein sehr angenehmes Rock-Brett.

16:15 – DEATHCHANT
Was reimt sich auf Brett? Bett. Und zwar selbiges, aus dem jetzt wohl die letzten rausgetrieben werden. Denn nach einem Rückkopplungs-Quietsch-Orgie-Intro wird so richtig losgebrettert. Mit kehligem Keifgesang garnierter Heavy Rock in Leder. Voll in die Fresse brummt’s aus den Boxen, frickelige Soli wuchten sich in rotzige Riffs, die auch schon vor ein paar Jahrzehnten geil waren – und es heute immer noch sind. Straight, melodiös, aber schnörkelfrei. Direkt aus der Garage auf die Bühne, nicht mal Zeit zum vollständig Anziehen. Aber ey – von L.A. nach Neuensee ist auch kein Katzensprung.
Umso mehr Spielfreude haben sie im Gepäck und lassen mal voll die Sau raus. Jeder Biker-Club dieser Welt würde kollektiv einen Orgasmus schieben, wenn die Jungs in deren Clubhaus aufspielen würden. Die Weiber wären danach zwar weg – aber die lägen eh nur sabbernd auf dem Boden. Vor der Bühne bis zum FOH stehen die Leute dicht an dicht, voll mitgerissen von der Energie, und holen sich ihre Klatsche Rotzrock ab. Die Jungs lassen einem keine Chance, feuern einen Dampfer nach dem anderen vom Stapel, auf eine wilde Fahrt durch heftig vom Wind gepatschte Wellen und Wogen. Entsprechend honoriert wird diese Fahrt mit Schallwellen, die ähnlich laut sind wie der Sound aus der PA.

17:35 NIGHTSTALKER
Der Rotz wird etwas rausgenommen, der Groove-Faktor angezogen – und schon schiebt sich ein räudig stampfender, zäher Gitarren-Rockteig aus der PA. Er zieht und zerrt am Knäuel aus Menschen, die davon komplett eingenommen werden. Mit der bluesigen Note, die hier schwer zum Tragen kommt, steht jedenfalls kein Bein und keine Hüfte mehr still. Alles, was da im stampfenden Wabern von der Bühne rollt, verbindet sich: der Sound, die Leute, die Crew, die Musiker, die Luft – eine Einheit aus purem Rock.
Die Feier geht steil, weniger im wilden Pogo- oder Moshpit-Modus, mehr so im „sich in die Arme fallen und treiben lassen“-Vibe. Okay, ganz zahm sind sie auch nicht – ein paar Klapse verteilen sie schon, aber eher Fifty Shades of Grey in gut als Lucifer Valentine-mäßig. Passt bestens zum Chillen – also bis gleich zu:


18:30 VALLEY OF THE SUN
auf der Holzbockstage. Dieses Jahr hat man sich eine zweite Bühne gegönnt, und Freitag wie Samstag spielt dort jeweils eine Band zwei kürzere Sets während der Umbaupausen. Ziemlich coole Idee! Da ich aber schreibfaul bin, fasse ich beide Sets jeweils zusammen – und der Bericht kommt nach dem zweiten Durchgang. Also stürzen wir uns an dieser Stelle in die Schlacht mit:


19:05 BATTLESNAKE
Die gehen das Ganze etwas spaßiger an – zumindest, wenn man die Bühnenklamotten als Indikator heranzieht. Der Sektenführer in mir freut sich über diese OTO-Reminiszenz in optischer Hinsicht. Musikalisch sind sie aber mindestens so catchy, wie die Klamotten weiß sind. Irgendwo zwischen Punk, Stoner und Psychedelic wird hier eine Messe des Booms abgefeiert, und die humoresk-satirische Note scheint auch textlich mitzuschwingen.
Unterhalten können die Herren jedenfalls. Hardcore-lastige Parts krachen plötzlich rein, Gitarren brechen wild dazwischen, das Schlagzeug wuchtet – um dann ungebremst in einen orchestralen Part zu schlittern: Break, Umpha-Beat, Party!
Das ist wahrlich Feiermucke – mit einem Oldschool-albernen Charme, dem der moderne Brechersound erstaunlich gut steht. Würde das Ganze im Dunkeln stattfinden, käme die theatralische Tragweite sicher noch mehr zur Geltung – aber scheiß drauf: da scheppert ein slayermäßiges Riff aus den Boxen, und vor der Bühne gibt es kein Halten mehr.
Hoher Entertainmentfaktor, viel Spielfreude und abgefahrene Highlights – für alle Metaller, die auch beim Lachen gern vor der Bühne stehen: schaut euch diese Kapelle an!


20:30 SLOMOSA
Die Umbaupause vertreibe ich mir mit dem lieben Steffen – sein erstes Jahr hier im Team, direkt an der Bierbar. 22 Jahre auf dieser Kugel, Schreiner wie meiner einer (nur ist das bei mir schon länger her, als er überhaupt auf der Welt ist). Super Kerl! Wie das ganze Dorf macht auch er das Open Air hier zur alljährlichen Tradition, auf die keiner mehr verzichten möchte. Merci & Prost!
Dann starten SLOMOSA – langsam, wabernd, bevor es in melodiösen, getragenen Stoner übergeht. Mit enormer Durchschlagskraft wechselt das Ganze in bassigen 70er-Sound. Punktgenaue Drums, schwere Gitarren und ein klarer, getragener Gesang, abgerundet durch einen wabernden, druckvollen Bass. Zusammen ergießt sich das in eine Melange aus groovigen Anschlägen und Feedback über die Fläche. Selbst die angrenzenden Bäume scheinen selig die Schwingungen dieses namentlich an eine indische Teigtasche erinnernden Groove-Monster, mittels ihrer Wurzeln bis in die Kronen wummern.
Recht relaxed, aber mit einer Energie, die auch einen 40-Tonner hätte stoppen können. Die ruhigen, getragenen Parts wiegen dich leicht schwankend, während sich im Hintergrund eine Klangwand Stück für Stück auftürmt. Fast unmerklich gewinnt sie an Dichte, nur um schließlich in monotone, druckvolle Breitseiten aus bassigen Klanggewalten zu zerbrechen – und aus dem leichten Schwanken wird plötzlich heftiges Nicken bis Bangen.
Ein starkes Set einer fetten Kapelle, die hier herpasst wie … na, ihr wisst schon.


21:35 VALLEY OF THE SUN
Und direkt weiter auf der Holzbockstage. Die Amis treten sofort ordentlich aufs Gaspedal – der bassige Sound brummt heftig in die Menge, die dicht gedrängt vor der Bühne steht. Auch wenn es „nur“ die kleine Bühne ist: der Sound ist ganz groß. Generell muss man den Soundleuten wieder ein dickes Lob aussprechen: glasklar, egal wo man steht, druckvoll wie Sau, aber nicht so laut, dass es scheppert – genau richtig, wie es die Bands verdienen.
Man merkt auch dieses Jahr wieder: Hier geht’s um mehr als nur Kommerz. Hier ist eine gewachsene Festival-Familie am Start, die mit Hingabe arbeitet. Eine Hingabe, die sich entweder auf die Bands überträgt – oder sowieso schon in ihnen steckt.
Da macht VOTS keine halben Sachen, sondern reiht sich perfekt ein und liefert ein fettes Set, das Böden und Köpfe zum Wackeln bringt. Feinster Stoner Rock mit einer leckeren, spacigen Note, dazu eine starke Bühnenpräsenz und ein Sänger, der das Gefühl für diesen Sound offenbar genetisch in der Kehle trägt. Fett, heavy und direkt – aus der Wüste in die Lauscher der begeisterten Besucher.


22:00 MELVINS
Yeah, da ist sie – Kapelle Nr. 1 von den besagten zwei. Chaotisch und wild betreten die vier Herren die Bühne und übergießen den Platz erstmal mit einer Pfeif-, Quietsch- und Schepper-Orgie. Bis die Drums einzählen und die ersten klaren Takte offenbaren, wer hier jetzt auf den Putz haut: Mr. Wuschel Pope himself, mit einer unter Tausenden herausstechenden Stimme, zusammen mit seinen Brothers in Crime. Sie zermatschen einem das Hirn mit ihren schrägen Takten und wie Messerstiche gesetzten Breaks.
Ich liebe ja den Trommler – einer der besten im Geschäft. Aber wie hätte man mich noch mehr verzücken können? Genau: heute sind beide am Start! Mehr akustisches Glück geht kaum – das ist musikalischer Sex, der dir einen Orgasmus wie einem Schwein beschert. Die beiden dreschen sich die Bälle hin und her, erschaffen eine Dichte, die man schneiden könnte, und getrieben vom Boxermotor der Rhythmusfraktion walzt die Maschine einfach alles nieder.
Klar stechen sie im Billing heraus: nicht nur, weil der Name Gewicht hat, sondern auch, weil ihr Sound einzigartig bleibt. Irre, wuchtig, punkig, groovend und gleichzeitig vertrackt – hier wird gelebter Kontrollverlust zelebriert. Jeder Song zwingt zum Kopfnicken, ohne Ausweg. Selbst die Regenwürmer im Boden dürften sich gerade die Birne an den Röhrenwänden andreschen, während sie wild zuckend den Beat durch ihren Körper laufen lassen.
Mir geht’s genauso: Alles in, an und um mich will nur noch mitstampfen. Der Bierstand ist zum ersten Mal an diesem Abend nahezu leer – offenbar sehen das alle so und geben sich dem auf der Bühne hin. Ultraheftige Doom-Passagen, getragen von stehenden Gitarrenanschlägen und fetten Drums, massieren noch die letzten Zellen und zaubern selbst ihnen ein Grinsen in den Nukleus. Ich lass mich mitreißen, hinwegtragen, fallen.
Schaut sie euch live an – die machen das schon so lange, und hoffentlich noch ewig weiter. Ich geb mich ihnen jetzt so richtig hin. Bis gleich also, zu …


00:00 SPIRIT MOTHER
Die legen direkt mal fett los – mit einem Jethro-Tull-Klassiker, fett wie Entenbraten. Die Ausrichtung ist damit klar: 70er-Schlagseite, und zwar ohne Kompromisse. Der nächste Song schraubt sich in Himalaya-Höhen, durch die Geige mit einem fast spirituellen Touch versehen, aber ohne an Wucht oder Schwung zu verlieren. Alles dehnt sich bis an die Belastungsgrenze: gesungene Töne, brubbelnde Feedbacks, sirrende Geigenklänge. Ein extra schwerer Klangteppich klassischen Rocks, in moderne, rotzige Hosen gesteckt.
Denn so sehr das Fundament an die 70er erinnert – die permanente Garage-Attitüde, rau und dreckig, macht aus den Hymnen große Bastarde. Aber genau das trifft ins Herz und ins Hirn, genau da, wo’s wehtut und schön ist zugleich. Pausen gibt es keine – stattdessen ausgedehnte Instrumentalpassagen, die einen in Trance versetzen. Man treibt auf ruhiger See, tief im Ozean, bis plötzlich ein Orkan seitlich in die Segel schlägt. Man rast in extremer Schräglage davon, nur um im Auge des Sturms wieder spiegelglatter und windstiller See ausgeliefert zu sein. Doch jeder weiß: die nächste Wand aus Kraft rollt sicher an. Und genau diesem Moment giert man entgegen, süchtig nach dem Aufprall.
Die Menge saugt es auf, inhaliert jeden Ton, jede Note, und wandelt sie wie Chlorophyll in Energie um – die sofort wieder entladen wird, durch Springen, Moshen, oder was auch immer. Ein würdiger Abgang für den zweiten Festivaltag – für uns der erste auf dem RiW’25. Von fett bis megafett, von Brett bis Flausch – alles dabei. Ich bin platt, glücklich, und mach mich jetzt ans Abtippen. Uff.


TAG III (für uns II)

13:40 DESERT SUN
Und auch der dritte Tag startet mit tiefen Gitarren, wuchtigen Bässen und einer eingängigen, sauberen Clean-Stimme. Ob bewusst so gewollt oder einfach dem Sound geschuldet – eine heftige Kyuss-Schlagseite lässt sich nicht wegleugnen. Aber wen stört’s, wenn’s gut ist? Und das hier ist sehr gut. Entspannt genug, um die auf der Wiese Liegenden nicht zu stressen, energetisch genug, um die nach Bewegung Ringenden wild tanzen zu lassen. Und obwohl es für einige sicherlich noch eine frühe Zeit ist – gestern wurde schließlich wild gefeiert – ist schon mehr als die Hälfte der Vollauslastung am Start und genießt bei angenehmen Temperaturen und fettem Stoner Rock das Leben und den Einstieg in einen sicherlich grandiosen letzten Tag hier beim RiW. Danke fürs Aufheizen an DESERT SUN – Rock ’n’ Roll.


14:50 EARTH SHIP
Pünktlich legt es ab, das Schlachtschiff des Stoner Rock. Die Besatzung könnte soundtechnisch direkt auf der MS High on Fire anheuern und würde dort bestens ins Bild passen. Ein schön dreckiger Sound brummt über die Fläche und föhnt den Anwesenden ordentlich die Haare nach hinten. Kehlig brüllt der Sänger von EARTH SHIP seine Texte ins Mikro, während er parallel die schlabberigen Saiten seiner Gitarre zum Schwingen bringt. Auf der anderen Seite zupft die Bassistin eine fette Grundlage dazu, während der Trommler mittig vehement seine Snare peitscht. So klatschen die drei einem ein mächtiges Set aus 10.000 Bruttoregistertonnen Fuzz Rock um die Ohren, dass einem Hören und Sehen vergeht. Man verliert sich gänzlich in dieser unaufhaltsamen Maschine aus Stahl, Diesel und Feuer.


16:10 VELVET TWO STRIPES
Jetzt entern die Damen von VELVET TWO STRIPES die Bühne – und holla die Waldfee, mit jeder Menge Power und Spielraum. Eine rauchig-solide Rockstimme über bluesigen Gitarren und Bass, angefeuert von fetzigen Drums, lassen es die Mädels ordentlich krachen. Natürlich gibt’s auch ruhigere Nummern, aber selbst da bricht immer wieder mehr Power durch, als man vermuten würde. Die tanzbaren Songs bringen ordentlich Bewegung in die Hüftregionen der Leute, und so wogt sich die Menge vor der Bühne im Einklang zur Musik. Klassik-Rock-Fans, hier würdet ihr überglücklich werden und mit Freudentränen von dannen ziehen. Die Anwesenden feiern VELVET TWO STRIPES also entsprechend. Da weiß man, warum sie nach zwei Jahren schon wieder hier aufspielen – und es wird sicher nicht das letzte Wiedersehen an diesem Ort gewesen sein.


17:30 GNOME
Drei der sieben Zwerge haben sich auf dem Nachhauseweg verlaufen, sich übelst mit Pilzen abgeschossen, sind in einen Instrumentenladen eingebrochen – und entern nun die Bühne. Der Fuzz ist bis zum Anschlag aufgedreht, das Tempo schwer reduziert, und so wuchten sich die Wichtel durch ihre Songs. Der Bass dominiert, während von der Gitarrenfront feine Melodie-Schichten dazukommen und die Drums reduziert, aber punktgenau zuschlagen.
Das kommt bestens an und überrascht hier offenbar niemanden. Überall tauchen rote Zipfelmützen auf, springen wild moschend durch die Leute und stecken andere damit an. Schon ist ein wunderbarer Pit am Glühen, dass man sich seine Ofenkartoffeln darin backen könnte. Solche Wichtel wünscht man sich auf jeder gediegenen Feier – denn feiern können die ordentlich.
So wird das Ganze zum perfekten Auftakt für das Abendprogramm. Der Platz ist nun endgültig voll, von der Bühne bis zum FOH geht die Menge dicht gedrängt steil, während sich im hinteren Bereich kleine Grüppchen entspannt verteilen – zum Spielen, Abhängen oder einfach nur gepflegt Besaufen. Null Stress, keine Reibereien, nur Mucke und zufriedene Menschen.

18:55 MOTHERS CAKE
Mit einem Intro, das direkt aus einem Argento- oder 70/80er-Jahre-Thriller stammen könnte, grooven sich der musikalische Mutterkuchen in spirituelle Höhen. Körperlich nicht greifbar (ähnlich wie der meiner Tochter, damals wollt ich mir den lecker grillen, aber der Arzt war leider schneller, äh, jo), verändert es Denkstrukturen, Synapsen werden umgepolt und zeigen einem vor dem inneren Auge Landschaften auf, welche nie zuvor in real gesehen wurden. Kopfmusik mit Kopfstimme und Kopfnickenfaktor hoch zwölf – rockt ordentlich, ohne Aggression, eher wie ein verspielter Welpe: voll abgehend auf die alberne Art, zack, Entspannungsübung, wieder voll aufdrehen, komisch Sachen sehen die kein anderer sieht und hinterher jagen, am Sack schnuppern, Entspannungspause, den eigenen Schwanz jagen, jemand anspringen, Pause und und und
Das wirkt locker, ist aber alles andere als das. Die Art, wie Songs aufgebaut werden, ist hochgradig durchdacht: fesselnd, zerrend, ziehend – ein psychedelischer Sog. Minutenlange Intros oder Zwischenparts steigern sich in orgastisch-kathartische Groove-Explosionen. Funk, Punk, Psychedelic, Led Zeppelin, Rock, Groove Metal, Reggae, Ska, Jazz – hier steckt mehr drin, als eigentlich in einen Platz, ein Land oder gar die Welt passt. Genau deshalb passt es so unheimlich gut.


19:50 PARALYZED Set I
Auf der kleineren Nebenbühne dürfen heute die “Local Heroes” ihr doppeltes Stelldichein geben. PARALYZED haben mich vor zwei Jahren schon gut abgeholt – oder besser: willkommen geheißen. Sympathische junge Band – lest mal in 2023 rein –, die vor kurzem eine neue Scheibe an den Start gebracht haben. Und da die Verbindung mit dem RiW seit mehr als nur die Bandjahren besteht, dürfen sie hier in diesem Rahmen ihr Können auf der Bühne präsentieren.
Und jo – die junge, charismatische Truppe mit der Gitarristin, der die Muttermilch schon auf dem RiW eingetrichtert wurde, rockt den Wald, die Büsche, die Vögel am Himmel, die Maulwürfe im Boden, meine Innereien und überhaupt alles, was in Schallwellereichweite kreucht oder fleucht. Aber sicher nicht flieht – sondern abgeht und groovt wie Bolle. Der Sänger hat eine ordentliche Schippe Joe Cocker draufgepackt. Ein echt begnadetes Organ und eine Top-Frontsau.
Cata zeigt der Bespannung der Sechssaitigen, was wahrer S/M ist, denn so reiz- und gefühlvoll wurden Gitarrensaiten selten benutzt. Der Basser brummt sich die Seele aus dem Leib – die er sicher schon vor Ewigkeiten dem Teufel verhökert hat für das heute hier – und gemeinsam mit dem druckvoll treibenden Groove vom Trommelmann heizen sie die Horde an. Vom Stageacting bis zur Hingabe an die Musik: bis dato dieses Jahr fast die beste Kapelle am Platz. Die haben halt echt voll Bock und wollen zeigen, was se können. Und die können was, Alter Flickfalter!
Anhören, Scheibe kaufen, kleine Band groß machen. RiW soll ihnen gewogen bleiben – was sie sicher auch ewig sein werden – aber da gehören ganz klar große Bühnen an anderen Orten unter die Füße von dieser geilen 70s-Stoner-Blues-Rock-Kapelle.

20:20 WINE LIPS
Jetzt gibt’s auf der Hauptbühne wieder fetzige Rockmucke der etwas moderneren Art. Scharfe, sirrende Gitarrenanschläge, kombiniert zu Hoppel-Beats und punkigem Bass. Stimmlich ein paar Oktaven höher keift und singt der Frontmann, umgeben von seinen beiden Brothers in Crime und Sisters an der Batterie. Hysterische Tanznummern scheppern über den Graben – tja, da wird der Rasen wohl weiter verdichtet und geplättet werden. Dem lokalen Sportverein wird’s gleich sein – die sind eh alle hier vor Ort und trampeln, tanzen, pogen, schubsen und moshen zu dem Feuerwerk an Partymucke, das hier abgefackelt wird. Blueselastige Passagen frischen das Ganze durch eine Prise Gelassenheit auf – eine trügerische. Denn diesen Parts liegt so ein schelmischer Unterton zugrunde, wie selbst Gollum in seinen besten Zeiten ihn nicht hätte toppen können.
Und trügerisch sowieso – weil natürlich wird mit einer wilden Attacke aus Staccato-Riffs und treibenden Rhythmen ausgebrochen. So rockt dieses Gebräu aus den Boxen in Köpfe, Körper und Beine – und ab geht die Luci! Punkige Schmeißer jagen sich gegenseitig, bis ihnen wieder eine Verrücktheit einfällt, die grad gar nicht – und genau deswegen – super reinpasst.

21:20 PARALYZED Set II
Alter, die packen noch mal ’ne Ladung Power drauf. Bühnenpräsenz: 11 von 10. Heavy Blues Rock – jo, fett!

21:50 ZEAL & ARDOR
Sphärische Pianoklänge auf vernebelt beleuchteter Bühne vor schwarzem Hintergrund in grün, weiß und blau. Gaaaaaanz zart, liebevoll, umarmend, umgarnend. Die Fliegen in Menschenform, schön langsam ans Licht gelockt. Unmerklich schraubt sich eine Melodie aus dem Off in die Front, übernimmt, dominiert – BOOOOM! Technoider Gospel-Rap straight out of hell.
Stille. Bewegungslosigkeit, als ob in Epoxid gegossen. Unvermittelt, aber hergesehnt, bricht sie aus: die Hölle im Paradies. Direkt hinein, vorbei an 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, in den neunten Kreis. Inferno. Auf Kurs zur Pyjamaparty mit dem Teufel, auf einem toten Schimmel namens Dante, auf sieben ungleichen Wegen, hinab, hinein und hinauf. Staccato schwingen an den Füßen, dem Pan entrissen, sieben Meilen, in sieben Atemzügen. Diese obskure Mischung aus Synthie Klängen, dreckig wuchtigen aber recht straighten Drums, zu abgehackten, zerstückelten Tech-Riffs im Wechsel mit harmonisch zärtlichen streichel Klängen, mehrstimmige chorale Gesänge in perfekter Harmonie mit eruptierended Black Metal einschüben. Das ist so absolut kein alltäglicher Sound.
Und bei all der Verspieltheit kickt auch mal ein Disco-Einschub rein – technoide Eskapaden stecken eh irgendwie in allem. Ein Moloch und der beste Nährboden für diabolisch-geniale, perfekt in Szene gesetzte Teufelsmusik, die den Namen im Zeichen trägt.
Carpenter likes Keyboardgeklimper mündet, nein, wird gestoßen, einen massiven Bergrücken hinunter, in ein Geballer, das einem wie Maschinengewehrfeuer in zwei Teile spaltet. Und alles wird besser – ja, ALLES wird BESSER – wenn man eine Doublebass drunterlegt. Ich bin ja so ein kleiner Trommelliebhaber. Und entweder ganz krass – oder so dermaßen verfickt heavy wie hier.
Und jetzt rudert, ihr Narren, bis ihr ausgepeitscht und in Fetzen in die sanften Schwingen einer zärtlichen Nymphe genommen werdet – um dann von den lieblichen Klängen einer Kindermelodie sanft geweckt zu werden. Nur um dann im Wald, nackt und ohne Orientierung, ausgesetzt, verlassen, einer aufziehenden Sturmfront entgegensehend, zu stolpern, einen Abhang hinunterzurollen vor einer Hütte mit einem Lagerfeuer im Inneren, umgeben von toter Natur, schwarz verbrannter Erde und Pflanzen, welche die Sonne seit Äonen nicht mehr gesehen hatten, zu enden. Schutz in der ewigen Verderbnis, der Teufel dein letzter Verbündeter. Die Theatralik in jeder Pore der im Raum ausgedehnten Entität RiW-Bühne nebst Musikern, subtil im Blues des Todes, so dermaßen abartig fett auf die Bestauner und Erlebenden dieses Rituals, dass es einer Divine Intervention gleichkommen muss, dass keiner einen Schaden nimmt.
Zur Erholung gönnt man sich ein kleines Wanderlied im Dreiklang – und gerade, als man denkt, der Atem wäre zurückerrungen, erdrückt einen eine Wand aus reinster Essenz von Gedresche, reduziert, direkt, wuchtig und bretthart. Diabolisch und okkult.
Und so derbe das Gezeigte auch gewesen war, seelig und glücklich in den Armen liegend geht man, gefeiert von den Beäugern der Geschehnisse und Emotionen, auf Händen getragen und in den Herzen verankert, von dannen.

23:45 COLOUR HAZE
Die Bühne ganz in blau getaucht, Ozean gleich, nähern sich die ersten säuselnden Klänge der Gitarren. Einem weit entferntem Walgesang gleich auf seiner Reise durch den Atlantik. Und auf dieser treibt er vorbei an allerlei. Algen, Fischschwärmen, Seewäldern, Milliarden von Krill, die schneeflockengleich in der Strömung schweben. Sturmgepeitschte Wellenkämme verzerren die schwachen Lichtstrahlen, die knapp unter der Oberfläche im Dunkel verloren gehen.
Dieser unterseeische Tenor liegt einvernehmend über allem, was aus der PA drückt. Und so schließt die letzte Kapelle den ewigen Kreis des Stoner-Rock-Festivals, mit einem psychedelischen Abdrift, und versammelt das gesamte Volk Schulter an Schulter direkt vor der Stage.
So, recht entspannt, treibt man, driftet davon, getragen von den weichen Orgelklängen ins offene Meer. Wellen heben einen in die Höhe, bevor man wieder ins Tal hinabfällt. Hier ein Strudel aus wildem Getrommel, zu Brechern aufgetürmten Wellenkämmen, die bei einsetzender Stille in sanftes Wogen vergehen. Da, eine saugende Strömung zieht stark und schleudert einen weit ins Unbekannte hinaus. Mit hoher Geschwindigkeit treibt man vorbei an der vielfältigen, im Einklang befindlichen Natürlichkeit eines Elements ohne Ecken und Kanten. Umschlossen, eingehüllt, geborgen im Element der emotional umarmenden Intensität des gehörten kollektiven Trips.
Das war mal wieder eine brummige Sause an Freundlichkeit und Gitarrenmusik im schönen Neunsee. Wir sehen uns sicher wieder. Und es würde mich freuen, auch einige von euch, werte Leser, dort treffen zu dürfen.
Bis dahin, JoD.

Text: Jochen Dollinger
Photos: Lars Oeschey

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